Rollenspieltechnik: Schöner scheitern

Zusammenfassung:

  1. Bei Patzern und Fehlschlägen müssen die Charaktere nicht unfähig erscheinen.
  2. Vielmehr bieten Patzer und Fehlschläge die Möglichkeit, coole Dinge mit den Charakteren anzustellen.

Im Einzelnen:

Bei dieser Technik, die mehr eine Denkweise als ein Mechanismus ist, ist Würfelpech kein Grund, Charaktere als unfähig darzustellen und die Handlung ins Stocken zu bringen.

Spielleiter: Umgeben vom Feuer, das dabei ist, die gesamte Taverne zu verschlingen, trennen dich nur noch zwei Schritt von Galvok, dem Zerfleischer: „Du willst der beste Schwertgeselle südlich der rauen Sichel sein? Dass ich nicht lache!“.
Spieler: „Du kannst von Gnade sprechen, dass ich dir noch Zeit für ein letztes Lachen lasse, Galvok!“ Ich greife mit einem Ausfall an! MIST! Verpatzt!
Spielleiter: Immer schneller treibst du Galvok nach hinten. Er ist mit der Schulter schon an der Wand, als du ausholst. Aber dein Schwert rammt sich nur tief in das Gebälk und steckt fest. Galvoks Kumpane Beran hat ihn in letzter Sekunde zur Seite gerissen.

Spielleiter: Der Rauch in der Taverne wird dichter. Dir bleiben nur noch Sekunden Atemluft.
Spieler: Ok, ich renne raus! MIST! Verpatzt!
Spielleiter: Mit atemberaubender Geschicklichkeit springst du, hechtest unter fallenden Balken hindurch und erreichst die Eingangstür, aber Karrar der Stalljunge kracht mit dir zusammen. Während du nur leicht aus der Bahn geworfen wirst und ins Freie kommst, stolpert Karrar in die lodernden Flammen.

Patzer sind für Spieler und Spielleiter gleichermaßen ärgerlich. Für Spieler heißt es oft: Dein Charakter ist doch nicht der tolle Typ, für den du ihn gehalten hast. Für Spielleiter heißt es dagegen: Verdammt, das Abenteuer wird heute Abend nicht fertig.

Du bist keine Lusche, er ist nur dermaßen gut… oder hat einfach nur Glück

Es ist unvermeidlich, dass Spieler während der Actionszenen schlecht würfeln und es besteht eine große Tendenz, dies als Fehler des Charakters darzustellen. Lass das. Ernsthaft, mach das nicht. Sag nicht, dass er daneben schlägt: Sag dass sein Gegner die Attacke blocken konnte. Sag nicht, dass er ausrutscht und fällt: Sag dass der Stein, an dem er sich hochziehen wollte, unerwartet aus dem Mauerwerk bricht. Dies ist besonders wichtig, wenn das Konzept des Charakters in Frage steht: der Rennfahrer verliert das Rennen nicht, weil er zu dusselig ist, ordentlich um die Kurve zu fahren. Er verliert, weil irgendein Idiot seinen LKW aus der Seitengasse fährt und das Auto blockiert.“ – WarriorMonk, story-games.com

Diese Interpretation von Patzern (und normalen Fehlschlägen) wird von Spielleitern meist intuitiv dann angewendet, wenn ein „klassischer“ Patzer dem Genre widersprechen würde. Wenn sich der Spielleiter aber bewusst mit dieser Technik auseinandersetzt, kommt er vielleicht zu der Erkenntnis, die ich gehabt habe:

Bei Patzern geht es nicht darum, dass die Charaktere scheitern. Es geht vielmehr darum, dass der Spielleiter eine Rechtfertigung dafür hat, coole Dinge mit den Charakteren anzustellen.

Normalerweise sind die Handlungen der Charaktere allein Sache der Spieler. Bei einem Patzer denkt der Spieler aber bereits: Oh Fuck! und macht sich darauf gefasst, dass etwas übles passiert und der Charakter ausgeliefert ist. Wenn dann der Spielleiter etwas – auch Handlungen des Charakters – beschreibt, was weder den Charakter unfähig darstellen lässt noch die Handlung ins Stocken bringt, dann sind die Spieler gewillt, derartige Einmischungen zu akzeptieren.

Zum Beispiel:

  • Die Charaktere werden getrennt.
  • Ausrüstung ist weg (siehe Beispiel 1 oben).
  • Ein Dilemma (siehe Beispiel 2 oben).
  • Irgendetwas, das der Spielleiter schon lange mit dem Charakter vorhatte.

In A Wicked Age sieht vor, dass bei einem absehbaren Scheitern Spieler und Spielleiter offen verhandeln, was der Charakter tun wird.

Anderseits können Gewinner und Verlierer sich auf einen anderen Ausgang des Konfliktes einigen. Das können auch rein fiktionale Auswirkungen sein: „Wie wäre es, wenn du mich gefangen nimmst und in das Gewölbe in Ketten legst?“ – In A Wicked Age Seite 18

Derartige Verhandlungen – auch wenn sie oft nur ein, zwei Sätze am Spieltisch ausmachen – ist für viele Spielgruppen nicht vorstellbar. Daher sollte der Spielleiter mit Augenmaß angemessene Konsequenzen auswählen. Apocalypse World legt dem Spielleiter nahe, derartige Dinge subtil zu tun:

Wie auch immer, verbirg die wahre Ursache, den Fehlschlag: tue so, als läge der Grund für die negative Auswirkung allein in der fiktiven Welt. Vielleicht hast du vor, die Charaktere zu trennen; sag niemals: „Oh, ein Patzer, ihr seid getrennt.“ Sag lieber: „Du greifst nach seiner Waffe, aber er tritt dich auf den Boden. Während sie auf dich stürmen, wird Damson weggezogen.“ Das Ergebnis ist dasselbe, aber du hast geschickt die Ursache verborgen. – Apocalypse World, Seite 111

Was haltet ihr von der Technik?

Habt ihr weitere Beispiele für schönes Scheitern?

Schreibt es in den Kommentaren!

12 Gedanken zu „Rollenspieltechnik: Schöner scheitern

  1. Ich halte das so ähnlich wie in Apocalypse World. Jedenfalls bei meiner Unknown Armies Runde. Es passt einfach auch besser, wenn die Umstände nicht passen.

  2. Find ich gut. Gerade bei den Patzerwahrscheinlichkeiten mancher Systeme sollte eigentlich der Patzer wirklich eher in den Umständen oder der umwelt zu suchen sein als beim Charakter.Bei D&D z.b. ist es egal wie gut du bist in 5 von 100 Fällen wirst du auch als SpitzenklasseAthlet mit fast göttlichen Fertigkeiten den Wurf versemmeln und Patzen… das wäre, wenn der Grund des Patzers beim Charakter liegt, einfach unglaubwürdig

  3. Sehr schön. Das Fail-Foward-Konzept z. B. aus 13th Age erinnert sicherlich an Wicked Age. Ich finde eine Fragetechnik gar nicht so schlecht.
    „Willst Du zurückfallen, oder etwas verlieren? Du kannst auch dranbleiben. Dabei reißt Du die Finger auf (x Punkte Schaden).“

    Überhaupt lässt sich mit Fragen eine Menge anstellen – nicht nur bei Panzern. Abhängig von der Situation und Stil lassen sich verschiedene Techniken miteinander verknüpfen.

    • Zurückfallen oder verlieren oder Schaden erleiden? Das hört sich spannend an, aber ich bin mir nicht ganz sicher, was du genau meinst.

      Wenn du meinst, dass ein Charakter auch Schaden erleiden könnte, anstatt andere Nachteile in der fiktiven Welt zu erleiden, so hört sich das gut an! Für so etwas ist ein Nachfragen zu einer Handlungsmöglichkeit super und nicht so ein Perspektivwechsel wie bei In a Wicked Age.

  4. Sorry, mein Beispiel ist zu lais­sez faire.

    Nehmen wir so eine Braut des Prinzen-Szenen. Der Held oder die Heldin klettert irgendwo hoch und dabei wird gepatzt.
    Anstatt in eine Diskussion einzusteigen, besteht auch die Möglichkeit, den Spieler Optionen anzubieten. Die Entscheidung führt zu Konsequenzen. Sollte der Protagonist in Eile sein, fällt er zurück (genügend Zeit für einen Hinterhalt) oder er verletzt sich, und kann danach kaum noch seine Fackel halten usw..
    Abhängig von der Situation und dem Spielstil finde offene und geschlossen Fragen sehr hilfreich, um die Spieler
    in die Handlung zu integrieren. (Ihr findet ein Schlüssl in dem Kistchen. Wie sieht der Schlüssel aus. usw.)

    Ich hoffe, jetzt lässt sich der Idee besser folgen.

  5. Ich bin zwar schon lange Spielleiterin, aber das ist ein kleiner feiner Tipp, der mir in meiner Sammlung noch gefehlt hat. Danke, Steffen

    Wobei ich sagen muss: Manchmal ist es auch ein großer Spaß, wenn mein eigentlich sehr kompetenter Charakter eben doch mal patzt, einfach nur, weil er gerade mal einen schlechten Tag hat.

    Und eine ganz andere Sache ist es noch, wenn meine dumpfbackige Kampfmaschine sich plötzlich auf einem Diplomatenball wiederfindet und auf dem sozialen Parkett ausrutscht. Da macht der Patzer dann auch richtig Spaß, besonders wenn es den Rest der Gruppe in die Bredouille bringt.

    Aber ansonsten ist es eine feine Sache, einen Misserfolg z.B. nicht mit dem Satz „Du triffst nicht“ abzuhandeln, sondern genauer zu beschrieben, durch welche Widrigkeiten der Schlag des Charakters danebengegangen ist.

    • Oh ja, den Slapstick-Aspekt habe ich ganz übersehen! Ist schon lange her, dass wir so etwas in unserer Spielrunde hatten, denn in sozialen Bereichen (Diplomatenball) verlange ich nie Proben. Schade eigentlich, so gesehen, aber wenn ein Spieler eine dumpfbackige Kampfmaschine spielt, braucht er meist auch gar nicht würfeln, um auf dem sozialen Parkett auszurutschen – meistens legt es der Spieler dann drauf an :-).

      Diese „Heute ist auch ein Scheißtag“ Misserfolge kompetenter Charaktere habe ich, soweit ich mich zurück erinnere, auch nicht in meinen Spielen. Ich vermute, das liegt daran, dass ich als Spielleiter nicht genug Szenen habe, um die Charaktere sowohl als coole Typen als auch als normale Leute mit alltäglichem Pech zu präsentieren. Wenn lange Kampagnen gespielt werden, hat Alltagspech vielleicht wirklich seine Berechtigung, aber selbst bei Kampagnen über 8 Spielabende (für mich sind das schon lange Kampagnen) stellt sich nie genug Alltag ein.

      Danke für die Gedankenanstöße, Saffron! Die sind sehr hilfreich!

  6. Sehr schöne Anregungen, wirklich! Hilft mir sehr weiter. Ich find’s zwar auch oft sehr passend, wenn ein Charakter mal einfach was versaut und das vielleicht auch zu Konflikten in der Gruppe führt (außerdem spiele ich Shadowrun, und da gehört es bei meinem Spielstil eben auch dazu, dass die Charaktere in bestimmten Situationen auch mal was falsch machen und mit den Konsequenzen leben müssen, eben keine unfehlbaren Helden sind), aber in vielen Situationen wird mir die hier beschriebene Herangehensweise denke ich doch sehr viel besser gefallen. Nicht nur, wenn ein Charakter auf seinem Spezialgebiet bei einer einfachen, aber vielleicht wichtigen Aufgabe scheitert, sondern auch bei ganz profanen Dingen. Bei Shadowrun kommt es öfter mal vor, dass man eine Wahrnehmungsprobe macht, um z.B. nahende Schritte zu hören, und dabei patzt. Bisher war das immer so eine unangenehme „Du starrst verträumt in die Gegend und kriegst nix mit“-Situation, also ich hab mir dann irgendwas eigentlich total Unplausibles ausgedacht (warum sollte der Charakter nicht hinhören, wenn er gerade versucht, hinzuhören?), dabei wäre es so einfach, stattdessen sowas zu sagen wie: „Ausgerechnet, als Du Dein Ohr an die Tür legst, um zu horchen, fährt draußen ein Müllauto vor und Du hörst nur noch das Rumpeln der Müllcontainer…“. Oder wenigstens eine gute Begründung dafür, dass der Charakter plötzlich abgelenkt ist, obwohl er sich konzentrieren wollte. Da bin ich bis jetzt einfach nicht drauf gekommen. Danke für den Artikel 🙂

    • Das ist ein schönes Beispiel mit dem Müllauto! Wahrnehmungsproben mache ich aber meist nach diesem Dreischritt:
      1. Alle wollen horchen? Entweder der mit dem höchsten Wert hört es oder (bei ähnlichen Werten) alle Spieler würfeln, der Beste hört’s.
      2. Nur einer will horchen? Er hört es.
      3. Keiner will horchen? Der mit dem besten Wert hört es, wenn es wichtig ist.

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